Quelle: Vermessungstechnische Rundschau 1951, S. 117 - 119, umgewandelt in RTF: Uwe Bücher 2019
Ludwig Zimmermann zum Gedächtnis
Von Vermessungsamtmann Adolf Weisser, Koblenz
Ludwig Zimmermann gehört zu den großen Fachschriftstellern. Da über sein Leben bisher kaum etwas veröffentlicht ist, holen wir dies nach.
Die Schriftleitung.
Es gibt wohl kaum einen Leser unserer Zeitschrift, dem der Name Ludwig Zimmermann nicht geläufig wäre. In der umfangreichen Literatur des Vermessungswesens nimmt er einen breiten Raum ein und steht in hohem Ansehen. Seine Werke sind nicht nur für den Nachwuchs, sondern auch für den gesamten vermessungstechnischen Berufsstand unentbehrlich geworden. Tausende benutzen täglich seine Rechen- und Quadrattafeln. Die umfangreichen vermessungstechnischen Übungsaufgaben, aus der Fülle einer jahrzehntelangen praktischen Erfahrung gemeinverständlich und übersichtlich zusammengestellt, sind ein unerschöpfliches Reservoir für jeden Fachmann. Während der gesamte Berufsstand die Lebensarbeit eines Mannes zu schätzen und zu werten weiß, dürfte es auch interessieren, über den Menschen Ludwig Zimmermann Näheres zu erfahren.
Am 8. März 1870 in Hartenrod, Kreis Biedenkopf in Hessen, geboren, mußte Zimmermann schon in frühester Jugend (er war der älteste von vier Söhnen) zum Unterhalt der Familie beisteuern. Nachdem seine Eltern nach Wetzlar verzogen, trat er dortselbst am 1.4.1884 beim Katasteramt in die Lehre, um sich, ebenso wie seine drei Brüder und späterhin auch seine beiden Söhne, dem Vermessungswesen zu widmen. Schon während der Lehr- und Gehilfenzeit gab er sich mit großem Eifer dem Studium der Algebra, Arithmetik und der niederen Geodäsie hin. Die hierzu erforderlichen Bücher (meistens Leihbücher) wurden von ihm in mühevoller Nachtarbeit kopiert, da er den Kaufpreis nicht aufzubringen vermochte. Durch Musizieren, sowie durch Porträtmalerei, die heute noch von Fachleuten als hervorragend bezeichnet wird, versuchte der damals 17jährige, zum Unterhalt der elterlichen Familie beizusteuern1). Im Jahre 1890 wurde er an die Regierung in Koblenz versetzt, legte im Frühjahr 1892 die Katasterzeichnerprüfung ab und wurde anschließend am 1.6.1892 zum außerplanmäßigen Beamten ernannt (Katasterhilfszeichner). Nach sechsjähriger Wartezeit wurde ihm am 1.Mai 1898 eine Planstelle als Katasterzeichner bei der Regierung in Kassel übertragen. Auf eigenen Wunsch kehrte er aber im folgenden Jahre nach Koblenz zurück, um dortselbst bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1935 — also fast 36 Jahre lang — auf dem Katasteramt I erfolgreich und vorbildlich zu wirken. Sein Arbeitseifer und seine Schaffenskraft erlahmten jedoch durch diese Zur-Ruhe-Setzung nicht. Neben der Sorge um die Neuauflage seiner Bücher nahm ihn der Posten eines Verwaltungssekretärs im Aufsichtsrat des Augustagymnasiums Koblenz voll und ganz bis zu seinem Tode, der ihn plötzlich am 15.7.1938 ereilte, in Anspruch. Der Schrecken des zweiten Weltkrieges (den ersten Weltkrieg hatte Z. als Sanitäter mitgemacht), der auch an seinem Eigenheim nicht spurlos yorübergegangen ist, blieb ihm erspart.
Unermüdlich war das Schaffen dieses aufrechten und überaus gütigen Mannes, dem das Äußerliche Nebensache war. Die Sorge um seine Familie und die des beruflichen Nachwuchses waren gleich groß. Seine hauptschriftstellerische Tätigkeit fällt in die Zeit von 1892 bis 1915. Immer wieder versuchte er sein Standardwerk zuerst unter dem Titel „Tafel für die Teilung der Dreiecke, Vierecke und Polygone“ (1894 veröffentlicht) auszubauen und seinen Berufskollegen die äußerst schwierigen Teilungsformeln des Altmeisters der Landmesserkunst (Gauss) in gemeinverständlicher Form näherzubringen. 1925 erfolgte die dritte Auflage dieses inzwischen in zwei Bänden erschienenen Werkes, welches, nebenbei bemerkt, von einem Professor der Geodäsie in Odessa, etwa um das Jahr 1930, ins Russische übersetzt und veröffentlicht wurde.
Mit der Veröffentlichung seiner Rechentafeln (1895 kleine und 1896 große Ausgabe) wurde in der damaligen Zeit viel Staub aufgewirbelt. Man versuchte, Z. als Plagiator (Abschreiber) der im Jahre 1889 erschienenen Rechentafel von Dr. H. Zimmermann zu bezeichnen. Kein Geringerer als Professor Vogler, der damalige Direktor des geodätischen Institutes in Berlin — mit dem Ludwig Zimmermann bis zu dessen Tode in stetem Briefwechsel stand — wies diese Beschuldigungen zurück und stellte in einem Gutachten fest, . . . „daß die Dr. H. Zimmermannsche Rechentafel von 1889 nur ein Auszug aus Crelle's Rechentafel von 1820 darstellte, freilich eine neu berechnete und, weil bequem eingerichtet und billig, der Technik sehr willkommen war. Daß Ludwig Zimmermanns Rechentafel von 1895, kleine Ausgabe, dem Zahlenbereich nach denselben Auszug aus Crelle's Rechentafeln darstellt, aber durch einen eigenartigen mathematischen Kunstkniff auf ein Zehntel des Raumes, den noch Dr. H. Zimmermann bedarf, zusammendrängt. Wogegen Ludwig Zimmermanns Rechentafeln von 1896, große Ausgabe, eben Kraft jenes Kunstkniffes, zu einem namhaften Fortschritt geführt und den Zahlenbereich der Crelleschen Rechentafeln überschritten haben. Ludwig Zimmermanns große Ausgabe ist weder aus Dr. H. Zimmermanns Rechentafeln hervorgegangen, noch stofflich abhängig von ihr, sondern überragt diese ganz bedeutend, wie sie sogar die Crelleschen Tafeln in mehreren Fällen an Brauchbarkeit übertrifft.“ Dieses Gutachten des Professors Vogler wies nicht nur die gegen Ludwig Z. geäußerte Verdächtigung zurück, sondern bestätigte gleichzeitig die hervorragende Leistung, die er durch die große Ausgabe der Rechentafeln erbracht hat.
Die nachstehende Übersicht läßt erkennen, wie vielseitig das Schaffen Ludwig Zimmermanns war. Es erschienen im Jahre:
1894 Tafeln für die Teilung der Dreiecke, Vierecke und Polygone; 2. Auflage 1896, 3. Auflage 1925.
1894 Logarithmisch-graphische Tafeln für Grundstücksteilungen; 2. Auflage 1911.
1894 Vierstellige Logarithmentafel.
1895 Rechentafel, kleine Ausgabe; 3. Auflage 1916.
1896 Rechentafel, große Ausgabe; 3. Auflage 1906.
1897 Numerische Werte der goniometrischen Funktionen.
1897 Quadrattafel, kleine Ausgabe; 3. Auflage 1914.
1898 Vollständige Tafeln der Quadrate aller Zahlen bis 100009; 3. Auflage 1930, 4. Auflage 1940.
1906 Tabellen für die Einstellung des Präzisions-Pantographen.
1911 Anleitung zur Berechnung der Polygon- und Kleinpunkt-Koordinaten; 2. Auflage 1913.
1913 Die Berechnung des Flächeninhalts der Grundstücke.
1915 300 vermessungstechnische Übungsaufgaben.
Leider war es ihm nicht vergönnt, seine Schrift „300 vermessungstechnische Übungsaufgaben“, die er noch im Ruhestand auf 500 erweiterte, nochmals zu verlegen. Zu seinem größten Verdruß ist es ihm, trotz Unterstützung durch mehrere Professoren, nicht möglich gewesen, sein in den Jahren 1915 bis 1921 entstandenes Werk „Siebenstellige trigonometrische Tafel neuer Teilung“ einem Drucke zuzuführen.
Außer diesen Arbeiten war Z. einer der ersten Mitarbeiter der „Allgemeinen Vermessungsnachrichten". Über Jahrzehnte füllten seine Abhandlungen nicht nur den mathematischen Teil dieser Zeitschrift, sondern er nahm auch zu allen aktuellen Fragen des Berufsstandes eingehend Stellung. Auch in der „Vermessungstechnischen Rundschau“ konnte man des öfteren seine Beiträge zur Berufsausbildung finden.
Fast unglaublich mag es erscheinen, daß Zimmermann neben dieser Fülle von Arbeit (er hielt zeitweise zweimal wöchentlich Abendkurse ab) noch Zeit gefunden hat, sich selbst weiterzubilden. So war er auch noch kurz vor seiner Pensionierung ständiger Hörer der Verwaltungsakademie, deren Abschlußprüfung er sich mit gutem Erfolg unterzog. Als der Verfasser dieser Zeilen Herrn Zimmermann darauf hinwies, daß er es doch nicht nötig hätte, noch die Verwaltungsakademie zu besuchen, erhielt er zur Antwort: „Man kann im Leben nie genug lernen!“ Dieser Ausspruch war bezeichnend für die ganze Persönlichkeit Ludwig Zimmermann. Hohes Pflichtbewußtsein, unermüdlicher Fleiß, uneigennützige Übertragung seines hervorragenden Wissens an seine jüngeren Kollegen, bescheiden, freundlich und zuvorkommend gegen Jedermann, vorbildliche Leistungen und Pünktlichkeit im Dienst waren für ihn eine Selbstverständlichkeit. Es ist geradezu beschämend für die ehemals preußische Katasterverwaltung, daß es ihr nicht gelungen ist, diesen Mann, dessen Lebenswerk sich sowohl für die Verwaltung, wie auch auf deren Bedienstete so überaus erfolgreich ausgewirkt hat, durch entsprechende Beförderung Anerkennung zu zollen, die er auf Grund seiner überragenden Kenntnisse und Fähigkeiten unter allen Umständen verdient hätte, wie kaum ein anderer.
Wir aber wollen nicht nur stolz darauf sein, daß Ludwig Zimmermann, dessen Werke für alle Zeiten mit dem Vermessungswesen unzertrennbar verbunden sind, aus unseren Reihen hervorgegangen ist, sondern wir alle, insbesondere aber die jüngere Generation, sollte sich ernstlich bemühen, den Kollegen und Menschen Ludwig Zimmermann als leuchtendes Beispiel zum Vorbild zu nehmen.
1) Anmerkung: Zu der damaligen Zeit bestanden keine Ausbildungsvorschriften, weder für die Zöglinge (Vermessungstechniker-Lehrlinge) noch für die Katastergehilfen (Vermessungstechniker). Diese standen zu den Katasterkontrolleuren (Amtsleiter) im Privatdienstverhältnis und wurden, ebenso wie die gesamten Betriebskosten (Miete, Heizung, Beleuchtung usw.) aus einer Pauschalvergütung bezahlt, die den Katasteramtsleitern zur Verfügung gestellt wurde. Die Aneignung der Kenntnisse für die Ablegung der Berufsprüfung, die frühestens nach einer Gesamtausbildungszeit von acht Jahren erfolgen konnte, war ausschließlich Sache der Techniker selbst. Die Abstellung dieses Notstandes lag Ludwig Zimmermann besonders am Herzen. Die Herausgabe seiner Werke war somit auch eine soziale Tat.